Fokusthema des Monats
In unserer neuen Reihe „Fokusthema des Monats“ nehmen wir jeden Monat ein wichtiges berufspolitisches Thema genauer unter die Lupe. Wir erläutern die Hintergründe, bieten prägnante Zusammenfassungen und verdeutlichen die Relevanz dieses Themas für unsere Berufsgruppe. Erfahren Sie, warum wir uns als Verband aktiv für den jeweiligen Themenbereich und damit auch für Sie einsetzen. Wechselnde Themen, informativ und übersichtlich aufbereitet - mit unserer neuen Reihe bleiben Sie stets informiert.
Vollakademisierung: Eine Chance für eine bessere Zukunft!
International ist sie seit Jahrzehnten der Standard: die hochschulische Ausbildung in der Logopädie/Sprachtherapie. Im Fokusmonat Juni möchten wir erläutern, warum Deutschland diesem Beispiel folgen sollte und warum eine Vollakademisierung eine bessere Zukunft für unsere Berufsgruppe darstellt. Wir möchten mit Mythen und Vorurteilen aufräumen und deutlich machen, warum wir der Überzeugung sind, dass alle Berufsangehörigen und auch die Versorgung von einer Harmonisierung der Ausbildung in der Logopädie/Sprachtherapie profitieren können.
Aber der Reihe nach … Unser derzeitiges Berufsgesetz, das noch aus dem Jahr 1980 stammt, enthält zahlreiche veraltete Regelungen, insbesondere im Bereich der Ausbildungs- und Prüfungsordnung. Seit der Einführung der Modelklausel (2009) und ihrer Evaluation steht die Neufassung eines Berufsgesetzes in der Logopädie/Sprachtherapie im Raum und sollte bereits in der vergangenen Legislatur angegangen werden. Auch die aktuelle Bundesregierung hatte sich für die laufende Legislaturperiode vorgenommen, neue Berufsgesetze für die Bereiche Ergotherapie, Logopädie/Sprachtherapie und Physiotherapie im Bundestag zu verabschieden. Doch es kam zu erheblichen Verzögerungen, sodass die Umsetzung für die Physiotherapie voraussichtlich frühestens im Jahr 2025, für die Logopädie 2026 und für die Ergotherapie 2027 erfolgen wird. Damit werden die Reformen in der Logopädie und der Ergotherapie erst in die Zeit nach den nächsten Bundestagswahlen und damit einer neuen Regierungsbildung fallen. Es ist daher von großer Bedeutung, auch weiterhin den politischen Akteuren in Erinnerung zu halten, wie überfällig eine einheitliche hochschulische Ausbildung für alle zwölf unterschiedlich ausgebildeten Berufsgruppen in der Logopädie/Sprachtherapie ist, dass sie machbar ist – und von großem Nutzen für Gesellschaft, Versorgung und Berufsangehörige.
Aktuell wird von Seiten des Bundesgesundheitsministers Prof. Dr. Karl Lauterbach und des Bundesministeriums für Gesundheit für die Logopädie/Sprachtherapie von einer Vollakademisierung gesprochen. Dies bedeutet, dass nach einem Übergangszeitraum zukünftig ausschließlich eine primärqualifizierende hochschulische Ausbildung angeboten wird. Für den Bereich der Physiotherapie sieht dies allerdings gänzlich anders aus: Hier ist eine Teilakademisierung geplant, d.h. es wird nebeneinander eine Berufsfachschul- und Hochschulausbildung geben. In Konsequenz führen diese beiden Ausbildungswege zu verschiedenen Kompetenzniveaus und damit auch zu unterschiedlichen Arbeitsinhalten und Vergütungen. So könnten z.B. hochschulisch qualifizierte Physiotherapeut*innen die Diagnostik durchführen und den berufsfachschulisch ausgebildeten Kolleg*innen vorgeben, welche Therapiemethode sie anwenden sollen.
Für die Ergotherapie wird aktuell ebenfalls eine Teilakademisierung und damit Spaltung der Berufsgruppe diskutiert. Für die Logopädie unternehmen wir alles, was in unserer Kraft liegt, um dieses Szenario der bereits bestehenden Teilakademisierung und der Etablierung einer Zwei-Klassen-Logopädie zu vermeiden.
Diese Einschätzung teilen wir mit allen anderen Berufsverbänden in der Logopädie – ebenso wie mit den Vertretungen der Schulen, der Hochschulen, der Dozent*innen, der Studierenden, des Fachbereichstags Therapiewissenschaften. Darum haben wir uns bereits 2016 zum AK Berufsgesetz zusammengetan und haben gemeinsam Vorlagen für die Gestaltung des neuen Berufsgesetzes und der Übergangsregelungen erarbeitet. Auch wenn der Bestandsschutz aller bereits heute in der Logopädie Tätigen gesetzlich zugesichert ist, haben wir im AK Berufsgesetz uns auf grundlegende Bestandsschutz- und Übergangsregelungen verständigt, die die Berufsangehörigen, Studierenden an Berufsfachschulen und Hochschulen, die Ausbildungsstätten und Lehrenden umfassen (AK Berufsgesetz 2023).
Wir sind fest davon überzeugt, dass nur durch die Vollakademisierung eine „Zwei-Klassen-Logopädie“ vermieden und die sonst drohende Abwertung der bisherigen Absolventinnen von Berufsfachschulen, die täglich hochwertige logopädische Versorgung sichern, verhindert werden kann. Nach unserer Auffassung ist unser Beruf unteilbar, d.h. Beratung, Prävention, Diagnostik, Therapie und Evaluation gehören in eine Hand. Schon heute ist dies Realität, denn die Logopädie bringt dazu die entsprechenden Voraussetzungen in Ausbildung und Berufstätigkeit mit. Beispielsweise führen Logopäd*innen eigenständig die logopädische Diagnostik durch, die entsprechend vergütet wird.
Warum (Voll-)Akademisierung? Die wichtigsten Argumente:
- Eine hochschulische Ausbildung garantiert eine qualitativ hochwertige Patient*innenversorgung, da Kompetenzen vermittelt werden, die eine evidenzbasierte Versorgung, wie sie der Gesetzgeber von uns fordert, langfristig sicherstellt. Schon heute verfügt die Mehrheit der Logopäd*innen über ein entsprechendes Kompetenzniveau, sei es durch ihre Ausbildung, Berufserfahrung, Weiterbildungen oder herausragende Leistungen wie z.B. Entwicklung diagnostischer Verfahren oder therapeutischer Methoden.
- Eine hochschulische Ausbildung wirkt dem bestehenden Fachkräftemangel entgegen und hilft langfristig, den Bedarf zu sichern. Sie allein trägt dazu bei, die Attraktivität des Berufs zu steigern, was u.a. auch an einer der Berufstätigkeit angemessenen Vergütung liegt.
- Eine hochschulische Ausbildung ermöglicht den Aufbau einer eigenständigen Therapieforschung, die notwendig ist, um langfristig den Anforderungen an eine evidenzbasierte logopädische Versorgung zu entsprechen. Zwar hat die Logopädie als akademische Disziplin inzwischen den Status eines gelisteten „kleinen Fachs“ erreicht, dies ist jedoch nur ein erster Schritt. Forschung und Theoriebildung sind erforderlich, sowohl im Bereich der Grundlagenforschung, Diagnostik- und Therapiemethoden als auch in der Versorgungsforschung. Hierfür braucht es eine akademische Struktur in der Logopädie mit Bachelor- und Masterstudiengängen und die Möglichkeit zur Promotion.
- Eine hochschulische Ausbildung garantiert Wettbewerbsfähigkeit bezogen auf die Berufstätigkeit (Harmonisierung der Berufsabschlüsse in Europa), Forschung (Teilhabe an internationalen Wettbewerben und Projekten) und Lehre (Dozentenaustausch auf EU-Ebene).
Die Befürchtung, dass sich durch eine einheitliche hochschulische Ausbildung der Fachkräftemangel noch verstärken würde, lässt sich am Beispiel Österreichs entkräften. Hier wurde vor mehr als zehn Jahren die Berufsfachschulausbildung durch eine Fachhochschulausbildung ersetzt. Und die Zahlen der Logopäd*innen steigen nach wie vor stetig an. Auch die Entwicklung der im Jahre 2020 akademisierten Hebammen zeigt seitdem beständig steigende Studieninteressierte und spricht für die zügige Einführung der einheitlichen hochschulischen Ausbildung in der Logopädie/Sprachtherapie.
Was muss jetzt getan werden?
- Die weitere Verzögerung der Reform des Berufsgesetzes führt zur Fortsetzung der Verunsicherung der Bewerber*innen für unseren Beruf und belastet die Arbeitssituation in den Ausbildungsstätten ebenso wie die der praktisch Tätigen. Zudem gefährdet sie die bereits entstandenen akademischen Strukturen. Daher ist die Politik dringend gefragt, endlich die Berufsgesetzreform umzusetzen.
- Wir Therapeut*innen sind gefragt, unsere zuständigen Politiker*innen vor Ort über diese Dringlichkeit der Veränderung und der Entscheidung für eine einheitliche hochschulische Ausbildung in der Logopädie/Sprachtherapie zu sensibilisieren und zum Handeln zu bewegen.
- Die politischen Entscheidungsträger*innen müssen ein Verständnis für die Logopädie entwickeln und erkennen, wie sie sich von anderen Gesundheits- und Therapieberufen unterscheidet.
- Die Logopädie als wichtige Ressource an der Schnittstelle zwischen Gesundheit und Bildung und zur Teilhabe von Menschen u.a. mit Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen muss noch stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt werden.
- Auch Information innerhalb unserer Berufsgruppen in der Logopädie/Sprachtherapie ist immer noch wichtig: Teilweise wird befürchtet, die Vollakademisierung entwerte den beruflichen Status der bisherigen Ausbildung. Dabei ist es genau andersherum: Die gesetzliche Etablierung einer Teilakademisierung im Berufsgesetz gefährdet den zukünftigen Status der Kolleg*innen, die berufsfachschulisch ausgebildet wurden. Durch sie könnte das Tätigkeitsfeld, das aktuell sowohl hochschulisch als auch berufsfachschulisch ausgebildeten Therapeut*innen offensteht, in Zukunft geteilt werden und neue Kompetenzen den hochschulisch ausgebildeten Kräften vorbehalten sein. Diese nachträgliche Entwertung der bisherigen Ausbildungsform gilt es zu verhindern.
- Mythen und Missverständnisse müssen aufgeklärt werden, etwa die irreführende Behauptung, dass Berufsinteressierte ohne Abitur ausgeschlossen würden: Auch in der Logopädie/Sprachtherapie ist Studieren ohne Abitur möglich und die Durchlässigkeit des Bildungssystems gegeben (z.B. kann mit Fachhochschulreife Logopädie studiert werden).
Mit dem Auslaufen der Modellklausel am Jahresende können die Länder nun eigenständig über die Errichtung von Regelstudiengängen entscheiden. Grundsätzlich ist das Auslaufen zu begrüßen, allerdings sind die Länder – insbesondere unter dem Finanzierungsaspekt – aktuell leider noch sehr zurückhaltend. In einem neuen Gutachten über die Ausbildungskosten (durchgeführt vom DKI) waren für die Hochschulen keine belastbaren Prognosen für die Folgekosten einer hochschulischen Ausbildung in der Logopädie, der Physio- und Ergotherapie möglich.
Mit dem Thema „Akademisierung“ beschäftigen sich engagierte Kolleg*innen unseres Verbandes schon seit mehreren Jahrzehnten und es wurden bereits Ideen und konkrete Konzepte entwickelt, wie diese realistisch umgesetzt werden könnte. Besonders hervorzuheben ist hier der 2016 gegründete Arbeitskreis (AK) Berufsgesetz mit der Sprecherin Dietlinde Schrey-Dern. Das Besondere dabei: Hier sitzen ALLE an einem Tisch. Die zwölf Berufsgruppen vertreten durch die vier Berufsverbände, die Lehrenden an Berufsfachschulen und Hochschulen sowie die Studierenden aus dem Bereich Logopädie/Sprachtherapie. Dies beeindruckt auch die Politik und vereinfacht die inhaltlichen Diskussionen darüber, warum die Logopädie/Sprachtherapie vollakademisiert werden sollte.
Auch im interdisziplinären „Bündnis Therapieberufe an die Hochschule“ setzt sich unser Verband nun seit mittlerweile fünf Jahren intensiv für eine Neugestaltung und Harmonisierung der Ausbildung in der Logopädie/Sprachtherapie ein.
Machen Sie mit und setzen Sie sich gemeinsam mit uns für die Vollakademisierung ein! Denn nur durch eine starke und vereinte Stimme können wir sicherstellen, dass unsere Interessen wahrgenommen und auch zukünftig Patientenversorgung und Zufriedenheit der Therapeut*innen gewährleisten werden.
Sie sind noch kein Mitglied? „Dann jetzt Mitglied werden!“
Sie möchten selbst aktiv werden? Dann melden Sie sich bei uns, bildung(at)dbl-ev.de!
Weiterführende Links:
- Das aktuelle Berufsgesetz: LogopG - Gesetz über den Beruf des Logopäden
- Ausbildungs- und Prüfungsordnung: LogAPrO - Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Logopäden
- Deutscher Qualifikationsrahmen (DQR), passendes Niveau für Logopädie: Niveau 6 - Deutscher Qualifikationsrahmen
- Positionspapier des dbl (Kompetenzprofil von 2014): Primärqualifizierende Akademisierung der Logopädie in Deutschland
- Verbleibstudie der Absolventinnen und Absolventen der Modellstudiengänge in NRW: VA-MOS
- Arbeitskreis (AK) Berufsgesetz: Aktuelles aus dem AK Berufsgesetz
- Argumentationspapier des AK: Argumentation Vollakademisierung
- Modellklausel: Dokumentation (Deutscher Bundestag)
- Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe: Zukunft der Gesundheitsfachberufe - Ausbildungen neu ordnen
- Portal Kleine Fächer: Logopädie als "kleines Fach"
- Wissenschaftsrat: Wissenschaftsratsgutachten
- Wissenschaftsratsgutachten: Voraussetzungen für wissenschaftliche Qualifizierung in den Gesundheitsfachberufen verbessern
- Pflegestudiumstärkungsgesetz: Pflegestudiumstärkungsgesetz (PflStudStG)
- Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen: Bündnis Therapieberufe
- Spitzenverband der Heilmittelverbände SHV): SHV Heilmittelverbände