Meldung
Zeitschriftenauslage im Wartezimmer
Ein persönlicher Beitrag zum Diskurs der individuellen Risikobewertung
Der Verband Deutscher Lesezirkel informiert in seinen „Corona-News“ (Mai-Juni/2020) darüber, dass derzeit „kein Verbot mehr für die Auslage von Zeitschriften in der öffentlichen Auslage, wie in Friseursalons, Arztpraxen, Cafés, Fitnessstudios usw.“ bestehe.
Wie vielen Mitgliedern stellt sich mir beim Lesen dieser Mitteilung die Frage, ob es sich hierbei um eine korrekte Information handelt und –falls ja – ob das, was nicht mehr verboten ist, damit als unbedenklich eingestuft und umgesetzt werden kann und sollte.
Ich möchte die Mitteilung des Lesezirkels gerne nutzen, um meine Fragen und Gedanken zur hygienischen Perspektive mit Ihnen zu teilen – als Anregung und Reflexionshilfe für eine „gute Entscheidung“ in Ihrer eigenen Praxis:
Zum einen geht es mir um die Frage: Ist diese Information richtig?
Das Ergebnis meiner Quellenrecherche: Bezüglich der im letzten Absatz erwähnten Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) (hierzu fehlt in der Information die Quellenangabe) finde ich in den „Aktualisierten Fragen und Antworten des BfR vom 8. Juli 2020“ folgende Originalpassage, die die Darstellung des Verbands Deutscher Lesezirkel nicht vollständig stützt:
„Können Coronaviren über das Berühren von Oberflächen, beispielsweise von Bargeld, Kartenterminals, Türklinken, Smartphones, Griffen von Einkaufswagen, Verpackungen oder Tüten übertragen werden?
Dem BfR sind bisher keine Infektionen mit SARS-CoV-2 über diesen Übertragungsweg bekannt. Grundsätzlich können Coronaviren durch direktes Niesen oder Husten einer infizierten Person auf Oberflächen gelangen und eine Zeit lang überleben. Eine Schmierinfektion einer weiteren Person erscheint dann möglich, wenn das Virus kurz danach über die Hände auf die Schleimhäute der Nase, der Augen oder des Mund- und Rachenraumes übertragen wird. Um sich vor Virusübertragungen über kontaminierte Oberflächen zu schützen, ist es wichtig, die allgemeinen Regeln der Hygiene des Alltags wie regelmäßiges Händewaschen und Fernhalten der Hände aus dem Gesicht zu beachten.“ [Hervorhebung (fett) durch Autorin]
Ich verstehe diese Aussage so, dass Schmierinfektionen grundsätzlich möglich sind - auch wenn derzeit keine Fälle bekannt sind.
Somit handelt es sich in meinen Augen hier zwar nicht um eine falsche Aussage seitens des Verbandes Deutscher Lesezirkel - durch dessen verkürzte Wiedergabe fehlt jedoch der Hinweis auf das weiterhin mögliche Risiko einer Schmierinfektion. Die vom Lesezirkel selbst zitierte Vorgabe „Auch Zeitschriften sollten nur unter Hygieneauflagen (bei Beschäftigten: Händehygiene nach Kontakt) zur Verfügung gestellt werden" ergibt ja nur vor dem Hintergrund dieses weiterhin bestehenden grundsätzlichen Risikos für eine Schmierinfektion einen Sinn.
Originaltext der bgw:
„Welche Hygienemaßnahmen sind beim Anbieten von Zeitungen und Zeitschriften notwendig?
Es werden geeignete Hygienemaßnahmen empfohlen, die eine Keimverschleppung auf Zeitungen, Zeitschriften und Personen verhindern sollen.
Das sind zum Beispiel die Händehygiene von Beschäftigten, Kunden/Kundinnen und Patienten/Patientinnen (Handschuhtragen, Händedesinfizieren bzw. -Waschen) sowie das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen (MNB).
Diese Maßnahmen sind notwendig, da noch nicht abschließend geklärt ist, ob über biologisches Material auf Zeitungen bzw. Zeitschriften eine SARS-CoV-2 Infektion ausgeschlossen werden kann.“
Somit liegt nach meiner Auffassung als Referentin im Berufs- und Fachverband dbl keine „neue Information“ zur Gefährdungsbeurteilung von Zeitschriftenauslagen in Wartezimmern vor.
Doch selbst wenn: Bekanntermaßen endet der Denkprozess eines Risikomanagements, mit dem Ziel der Risikominimierung, ohnehin nicht bei Bekanntwerden neuer Informationen, er muss vielmehr genau an diesem neuen Ausgangspunkt beginnen!
Wie dies aussehen könnte, möchte ich anhand meiner eigenen Fragen und Gedanken modellieren:
- Was steht im Fokus der Information? Der Leserzirkel macht auf Lockerungen aufmerksam, die auf der Basis der aktuellen Bewertung des gesamtgesellschaftlichen Risikos einer Infizierung durch den Kontakt mit Gegenständen, insbesondere im Hinblick auf die Zeitschriftenauslage im Wartezimmer, möglich werden.
- Auch wenn keine Berichte von Infektionen über Gegenstände (Schmierinfektion) bekannt sind, besteht weiterhin die Möglichkeit.
- Ist mir das Thema der Zeitschriftenauslage im Wartezimmer in der aktuellen Situation hoher zeitlicher, finanzieller und auch emotionaler Belastungen wirklich wichtig?
- Welche Bedingungen liegen vor: Größe, Aufteilung, Belüftungsmöglichkeit des Wartezimmers
- Wie setzt sich die Gesamtheit meiner Patienten und deren Angehöriger zusammen?
- Besteht aufgrund einer speziellen Begleitsituation die Notwendigkeit, das Wartezimmer zu nutzen?
- Möchte ich durch die Auslage von Zeitschriften dazu einladen, sich im Wartezimmer aufzuhalten?
- Kann und möchte ich in Kauf nehmen, dass sich der Ver- und Gebrauch von Händedesinfektionsmitteln durch die Auslage von Zeitschriften erhöhen?
- Gibt es Alternativen (z. B. Lesestoff vom Wartenden selbst mitbringen lassen?)
Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen Aspekte, die für eine umfängliche individuelle Risikobewertung und Entscheidungsfindung hinsichtlich der Zeitschriftenauslage zu bedenken sind, kann und möchte ich keine allgemeingültige Empfehlung für logopädische Praxen aussprechen. Ich hoffe jedoch, Ihre Überlegungen dazu durch diesen Input erleichtert und angeregt zu haben.
Sonja Utikal (dbl-Referat Logopädie)